In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit der Definition von „Natur“ und erläutere dir, warum es für dich hilfreich ist, deine individuelle Natur zu entdecken und wie sie dir zu mehr Zufriedenheit und persönlicher Entwicklung verhilft.
Lesedauer ungefähr 8 Minuten
Vielleicht musstest du ja aufhorchen bei dieser Fragestellung. Eigentlich ist doch klar was Natur ist und damit auch, was natürlich ist. Oder? Gehe ruhig kurz in dich und prüfe, ob du eine für dich umfassende und klar abgrenzende Definition findest.
Oft wird unter Natur die „Umwelt“, also das, was uns umgibt verstanden. Oder (besonders im Umfeld der Körperlichkeit) unsere Biologie und Physiologie, die Art wie unsere Körper sind. Oder „das Ursprüngliche“. Aber der Begriff ist unglaublich vielschichtig und beschreibt eben nicht nur die „greifbare“ Natur, oder Umwelt – Bäume, Berge, Flüsse, Körper – und ist auch nicht unveränderlich festgeschrieben, sondern beinhaltet auch soziale Vorgänge, individuelle Eigenarten, kulturelle Unterschiede und ist außerdem ständig im Wandel.
Tatsächlich ist sich sogar die Wissenschaft bei der genauen Erfassung des Begriffs manchmal uneins. Insbesondere Philosophen beschäftigen sich mit dieser Fragestellung. Es mag so erscheinen, als hätte die Antwort auf diese Frage relativ wenige Auswirkungen auf unser Leben. Sich damit zu beschäftigen kann aber dazu beitragen, dass wir uns Selbst, unsere inneren Vorgänge und unsere Bestimmung in der Welt besser verstehen und akzeptieren können. Und wenn du dich selbst besser verstehst, dann fällt es dir auch leichter Einfluss auf deine Entwicklung zu nehmen.

Ich empfehle jedem, sich mit dem Begriff und seinem Verständnis von „Natur“ auseinander zu setzen und die daraus entstandenen Erkenntnisse in seine Lebensgestaltung einfließen zu lassen.
Beginnen wir mit der Bestimmung des Begriffs. Natur ist das, was nicht vom Menschen „erschaffen“ wird, sondern, was bereits „gegeben“ oder im Inneren vorhanden ist. Der Gegenbegriff dazu ist übrigens die Kultur, das was der Mensch erschaffen hat. Stellt sich nur die Frage: Woher ist das gegeben?
Hier setze ich gerne an und gliedere die Naturaspekte zum besseren Verständnis in drei Ebenen
- Die individuelle Natur
- Die soziale Natur
- Die äußere Natur
Diese Einteilung ist etwas willkürlich, umfasst aber die meisten Einflüsse und ermöglicht außerdem ein Modell der Interaktion. Lass mich dir diese Ebene erläutern.
Die individuelle Natur
Menschen unterscheiden sich in ihrer Denkweise, Motivation, inneren Mustern und Verhaltensweisen. Das nennen wir dann Persönlichkeit oder in Abgrenzung zu den Eigenarten Anderer Individualität. Oft verwenden wir dafür auch abstraktere Begriffe wie „unser Inneres“ oder „unser Wesen“.

Diese individuelle Natur ist in meinen Augen besonders geprägt von unseren Wünschen und Bedürfnissen und wie wir damit im Laufe unseres Lebens damit umgehen. Ob wir unseren inneren Antrieben nachgeben und akzeptieren wie wir sind. Besonders spannend sind Situationen in denen unser Inneres mit den Verhaltensweisen, die wir im Äußeren als „normal“ oder „gewünscht“ wahrnehmen (oder uns das zumindest einbilden) im Konflikt steht.
Wenn wir uns also entscheiden müssen, ob wir Selbstbestimmt handeln, oder Einflüssen von außen nachgeben, gibt es sicher für beides den richtigen Zeitpunkt. Aber: Wer nah an seiner individuellen Natur lebt, der ist authentisch. Das geht mit einem hohen Maß an innerer Zufriedenheit einher. Denn wir erleben uns nicht nur als stimmig, unsere Handlung im Bezug auf unsere Bedürfnisse passend, sondern durch die Umsetzung auch als Selbstbestimmt und Selbstwirksam. In meinen Augen ein grundlegender Faktor auf dem Weg zu einem erfüllten Leben.
Dabei müssen wir aber berücksichtigen, dass unsere Individualität immer eine Momentaufnahme ist und im Verlaufe unseres Lebens immer von unseren Begebenheiten und Umständen, sozialem Umfeld und Erziehung geprägt wird. Bis zu welchem Grad das passiert ist schwer zu sagen, aber wir können durch ein authentisches Leben im Hier und Jetzt Einfluss darauf nehmen, welche Faktoren uns weiterführend prägen. Durch Reflektion machen wir uns Einflüsse bewusst und ermöglichen uns Einfluss darauf. Dann können wir all das zurücklassen, was nicht in unsere Wunschvorstellung passt und andere Dinge annehmen, wenn wir uns weiterentwickeln wollen.
Daher ist Natürliche Bewegung für mich etwas hochgradig Individuelles. Was sich für den Einen natürlich, stimmig, richtig anfühlt, kann in jemand anderem Widerstände auslösen. Und dabei gibt es kein „Richtig“ oder „Falsch“. Vielmehr sollten wir uns selbst besser kennen- und akzeptieren lernen. Das tun wir indem wir die ganze Bandbreite, die uns eine Praxis wie die Bewegung zu bieten hat ausnutzen, z.B. durch Exploration, uns dabei durch Achtsamkeit und Reflektion selbst beobachten und lernen in unsere Kompetenzen zu kommen, Intuition und Selbstwirksamkeit kultivieren.
Die Methode Natürliche Bewegung bietet dir daher keine klaren Anforderungen, nach denen du dich richten musst, sondern macht dir Angebote und gibt dir Hilfestellungen auf deinem eigenen Weg. Idealerweise nimmst du auch hier das mit, was sich für dich richtig anfühlt, verstehst alles andere aber auch. Dadurch entwickelst du deine eigene Praxis.
Die soziale Natur
Diese Ebene der Natur ergibt sich aus der Interaktion von Individuen. Gemeinsam schaffen wir etwas, das über die Summe der Einzelteile hinaus geht.

Die soziale Natur beschreibt aber auch unsere individuelle Herangehensweise an Interaktion. Ob wir intro- oder extrovertiert sind, uns in Menschenmengen wohl fühlen, unser Verhalten anpassen. Und wie wir auf andere Zugehen, oder auf ihre Einladungen reagieren. Und hier spielt Bewegung eine ganz besondere Rolle. Durch unsere Körper kommunizieren wir indirekt (z.B. über Haltung, Mimik, Gestik) und direkt (in Form von Körperkontakt) mit anderen Menschen. Und das meist schon, bevor verbale Kommunikation stattgefunden hat.
Menschen haben sich jeher mit anderen bewegt. Gegeneinander (Kampf und Wettstreit), Miteinander (Kooperatives Arbeiten, Tanzen) oder indirekt, indem wir den körperlichen Ausdruck von Anderen in unterschiedliche Kontexte setzen, z.B. beobachten, bewerten, imitieren uns mit ihnen vergleichen.
Natürliche Bewegung bedient sich dieser Einflüsse, sodass Gelegenheit zum Beobachten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden besteht. Und Raum, etwas Gemeinsames zu schaffen, das alleine nicht möglich wäre. Gleichzeitig kann die Erkenntnis, wie unterschiedlich wir sind, dazu beitragen, dass wir Individualitäten, unsere eigene oder die von anderen, besser verstehen, wertschätzen und akzeptieren.
Dafür bedienen wir uns unterschiedlichen Formen der Interaktion, kooperativer Bewegung, aber auch Wettkampf und Wettstreit und beobachten dabei auch die zugrundeliegenden Themen. Zum Beispiel wie wir eine solche Interaktion im Interesse aller sicher und erfüllend gestalten. Welche Rolle Regeln, Normen und Werte im Miteinander spielen. In einem gutem Wettstreit kommt es weniger darauf an, wer „gewinnt“ und wer „verliert“, sondern vielmehr darauf, dass wir voneinander lernen.
Bewegung verbindet uns.
Die äußere Natur
Hier ist die Interaktion mit dem uns umgebenden Raum und Begebenheiten gemeint. Wir können gar nicht anders, als mit unserer Umgebung, dem Raum, den Dingen und physikalischen Rahmenbedingungen zu interagieren.

Wir bewegen uns IM Raum, wir bewegen Dinge, indem wir sie heben, tragen, werfen. Unser Körper IST überhaupt nur, weil er ein kausal separater Teil der Welt ist. Und er unterliegt physikalischen und biologischen Rahmenbedingungen, die wir im begrenzten Rahmen für uns nutzbar machen können.
Eine interessantes Ergebnis aus der Interaktion mit dem Äußeren ist das Potential zur Entwicklung und Anpassung. Betrachten wir die menschliche Spezies, würden wir das wohl Evolution nennen, auf das Individuum bezogen Resilienz und Anpassungsfähigkeit. Wir passen uns der Umwelt an, in der wir uns wiederfinden. Unsere Fähigkeiten sind nicht im Vakuum entstanden, unsere Körper sind geformt von Jahrtausenden des Verhaltens unserer Vorfahren und gewachsen an Herausforderungen der Umwelt.
Daraus ergeben sich Bewegungsformen, die zu unserer Überlebensfähigkeit beigetragen haben und daher mutmaßlich „natürlicher“ sind als andere. Menschen sind beispielsweise besonders gute Läufer, unsere Vorfahren haben über Jahrtausende Treibjagden betrieben und sind umhergezogen. Wir können klettern, weil es bei der Überwindung von Strecken und beim Suchen von Unterschlupf hilfreich war. Wir balancieren auf zwei Beinen, weil es uns Vorteile verschafft.
Aber auch hier ist es schwer abzugrenzen, welche Bewegungsformen „nicht natürlich“ sind. Und durch Verhaltensweisen wie zum Beispiel das „Spielen“ kann sogar aus einer vermeintlich Sinnfreien Tätigkeit etwas Überlebenstechnisch vorteilhaftes entstehen.
Hier möchte ich auch gerne einschieben, dass ich das Leben des modernen Menschen – Großstädte, Internet, Technologie – nicht direkt als unnatürlich bezeichnen würde. Für die meisten von uns ist das nun einmal die Umwelt, in der wir aufgewachsen sind und in der wir uns zurecht finden müssen. Nicht jeder kann und möchte in eine Hütte im Wald ziehen und sein Essen selbst anbauen.
Der Mensch entwickelt sich mit seiner Umwelt. Er passt sich neuen Begebenheiten an. Sich dem komplett zu verwehren würde einem Stillstand gleichkommen und das ist weder förderlich für unsere Gesundheit, noch „natürlich“. Das Abwägen unserer Reaktion auf äußere Einflüsse gehört ebenso zur Natürlichen Bewegung und daher kann auch Stadt und Technologie ein Teil davon sein. Solange sie achtsam, Gesundheitsförderlich und im Sinne des Wohlergehen geschehen.
Wie Natur dir zu persönlicher Entwicklung verhilft
Die drei Ebenen beinhalten sie in meinen Augen die größten Felder einer umfassenden Bewegungs- und Lebenspraxis, die ein erfüllendes Leben beinhaltet. Um auf lange Sicht zufrieden zu sein, muss ich in meinem Leben alle diese Bereiche abdecken. Und wie du vielleicht schon rausgelesen hast, kannst du das wunderbar durch Bewegung verwirklichen! Bewegung ist schon immer Bestandteil unseres Lebens gewesen und wie du gesehen hast auch Quelle von dem, was uns mitgegeben wurde. Wenn aus unserem falschen Umgang mit Bewegung oder Körperlichkeit Probleme entstehen, kann sie aber auch die Lösung sein.
Es zeigt sich, dass das Leben entsprechend unserer Natur nicht optional ist, sondern notwendig um ein erfülltes Leben zu führen. Wenn wir ein Gefühl für unsere Natur entwickeln und danach handeln, nennen wir das übrigens Intuition.
Wir können in dem Modell außerdem die Interaktion der Ebenen darstellen und uns selbst in dieser Interaktion beobachten. Wo liegt mein Augenmerk? Meine Schwerpunkte? Woran mache ich Erfolg und Misserfolg meiner Praxis fest?
Sicher kannst du feststellen, ob du in einzelnen dieser Ebenen Stärken oder Schwächen aufweist. Vielleicht kannst du sogar feststellen, wie sie miteinander agieren und sich gegenseitig beeinflussen. Die Ebenen können für jeden von uns im Gleichgewicht sein, oder nicht. Wenn ich beispielsweise Schwierigkeiten mit meinem Inneren habe, erwachsen daraus womöglich Schwierigkeiten in der Interaktion mit anderen wie Kompensation oder Wahrnehmungsverzerrungen, Schwierigkeiten mich mitzuteilen und mehr. Das wirkt sich dann wiederum auf meine Selbstwahrnehmung, meinen Selbstwert, auf jeden Fall auf mein Inneres aus. Das nenne ich Feedback-Schleifen. So etwas aufzudecken ist ein Beispiel dafür, wie ein Verständnis für unsere Natur dir zu persönlicher Entwicklung verhilft.
Manche Anteile der Natur kannst du nicht eindeutig unter einer der der Ebenen verordnen. Die körperliche Natur beispielsweise hat sowohl Anteile an der inneren und äußeren Natur und wenn wir mit Anderen agieren, dann sogar mit der sozialen Natur. Was bringt also dieses Bild?
Indem wir eine Abgrenzung zwischen Ebenen schaffen, können wir in der Praxis und im Diskurs unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Das geschieht dann sowohl im Training und Austausch mit anderen Praktizierenden, aber auch im inneren Diskurs. In der Art und Weise, wie wir uns Zusammenhänge oder unser eigenes Handeln erklären. Und je besser wir die Hintergründe verstehen, desto mehr fühlen wir uns mit unserem Tun verbunden. Rate mal, welche Vorgehensweise nachhaltiger ist:
- Eine Handlung die du nicht verstehst, die du irgendwo aufgeschnappt hast. Oder…
- Eine Handlung deren Ursprung und Wirkung du dir erklären kannst.
Nachhaltiger bedeutete in diesem Zusammenhang, dass du dich besser dafür motivieren kannst, da einen Sinn drin siehst und dass sie dich mehr erfüllt und damit zufriedener macht.
Durch eine solche Aufstellung ist auch eine Verortung und Einordnung von Stärken, Schwächen und Verhaltensweisen möglich. Und um diese dann gezielt zu beeinflussen kannst du präziser eingreifen
Dazu noch der allgemeine Hinweis: Ich arbeite gerne mit Konzepten, weil sie mir helfen, mein Wissen zu ordnen und in unterschiedlichen Kontexten zu bewerten. Sie bieten eine Sichtweise auf die Dinge, wie eine Schablone, die ich anwenden kann um dann festzustellen „Das passt“ und „Das passt nicht“. Konzepte helfe uns zu einem besseren Verständnis der Welt die uns umgeben. (Und mir übrigens meine Ideen besser auf den Punkt zu bringen)
Fazit
Vielleicht bist du nach all meinen wagen Worten jetzt auch nicht schlauer als vorher. Das passt mir ganz gut, denn ich glaube, viel wichtiger als eine eindeutige Antwort auf die ursprüngliche Frage zu haben ist es, sich aktiv mit der Fragestellung auseinander zu setzen. Sie von all ihren Seiten zu beleuchten. Argumente für jede Seite zu sammeln.
Die aktive Auseinandersetzung mit solchen offenen Fragen führt zu einer Weiterentwicklung unserer Verhaltensmuster, unser Persönlichkeit, unserer Körperlichkeit. Indem wir uns dabei anhand unserer inneren Natur orientieren, handeln wir nachhaltig, ganzheitlich und authentisch. Auf diese Weise verhilft dir Natur zu persönlicher Entwicklung.
Teile gerne deine Gedanken und Fragen zum Naturbegriff mit mir.
Hier folgen demnächst dann auch weiterführende Links zu weiteren, relevanten Beiträgen. Du findest alle Artikel aber auch immer unter Beiträge
Bewegten Gruß
Dein Norwin