Wenn du den letzten Artikel gelesen hast, weißt du es vielleicht schon: Bewegung muss nicht immer in Form von Training stattfinden, wir können sie stattdessen auch in unseren Alltag integrieren und ihn dadurch bereichern. Hast du die Bewegungsformen im ersten Teil schon alle durch? Dann hier noch ein paar weitere allgemeine Bewegungsformen. Übe sie doch einmal bewusst, vielleicht werden sie, wenn sie mit dir resonieren, zu eingeprägten Verhaltensmuster.
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Spielen
Wir nehmen das Leben manchmal viel zu ernst. Zum Ausgleich können wir uns auch mal auf unsere verspielte Seite konzentrieren: Wir waren alle mal Kinder und haben gespielt. Manche Menschen hören damit nie auf, andere schränken es irgendwann ein. Aber Spiel ist nicht etwas rein kindliches, sondern bedeutet eine offene und neugierige Haltung mit unserem Tun zu bewahren. Besonders geeignet sind dafür Ergebnisoffene Tätigkeiten und solche, die mit Fantasie, Vorstellung und Alltagsfernen Situationen funktionieren.
Der Körper und Bewegung bieten dir eine Menge Möglichkeiten zu spielen. Eine Möglichkeit dafür ist das Spielen mit Dingen oder der Umgebung: Einen Ball fangen und werfen, gegen eine Wand oder ganz weit weg und hinterherlaufen. Einen Stab in den Händen kreisen lassen oder balancieren. Einen Stein durch ein Astloch werfen. Sich vorstellen der Boden wäre Lava und man will sich nicht die Füße verbrennen.
Spielen funktioniert auch wunderbar mit anderen Menschen und kann das Miteinander stärken. Besonders geeignet sind für den Einstieg simple Spiele, besonders solche mit offenem Ende. Verwechsle Spiel nicht mit Wettkampf. Zwar kann man durchaus in unterschiedliche Rollen schlüpfen und quasi „gegeneinander“ spielen, aber Spaß und gemeinsames Wachstum sollte im Vordergrund stellen. Wer mit dem Spiel besser zurechtkommt, kann zum Beispiel probieren sich den anderen anzupassen oder seine Vorgehensweise zu teilen. Dadurch lernen alle dazu.
Das kannst du ausprobieren:
- Mit einfachen Gegenständen herumspielen: Bälle, Stäbe, Seile – Fühle in dich hinein…
- Mit der Umgebung herumspielen: Drauf herumklettern, springen, erforschen…
- Mit Freunden herumspielen: Fangen, Rangeln, Aufeinander klettern, sich Sachen zuwerfen…
- Das Leben nicht so ernst nehmen
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Gleichgewicht finden – Balancieren
In jedem Moment richten wir unseren Körper gegen die Schwerkraft aus. Egal ob wir sitzen, stehen oder gehen, ordnen wir unsere Körperteile im Raum an um gegen die Schwerkraft zu bestehen. Sich diese Situationen bewusst mal schwerer zu machen, nennen wir dann Gleichgewichtstraining: Auf einem Bein stehen, eine Linie entlang balancieren oder die Sinne und Wahrnehmung variieren.
Das hat eine Menge Vorteile für deinen Alltag, aber auch fast jede körperliche Disziplin bzw. Sportart. Wer schnell sein Gleichgewicht findet und das relativ entspannt halten kann, der wird auf variierenden Untergründen, besonders in der Natur, sicher unterwegs sein. Wird in der Dusche nicht ausrutschen oder kann sich schnell wieder fangen. Und auf dem Spaziergang im Wald hält ihn kein unwegsames Astgewirr auf.
Diese Fähigkeit zu schulen und zu erleben entlastet uns auch mental. Wir gehen entspannter durchs Leben, wenn wir wissen, dass wir nicht bei jeder Kleinigkeit umkippen. Körper und Geist können entspannen.
Das kannst du ausprobieren:
- Zwischendurch auf einem Bein stehen
- In der Umgebung Linien und Kanten finden um darauf zu balancieren
- In der Bahn stehen ohne dich festzuhalten
- Beim Gehen ab und zu die Augen für einen Moment schließen
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Schwerkraft anders erleben – Hängen
In unserem Leben verbringen wir über 99% der Zeit auf Oberflächen: Stehend, sitzend oder liegend. Die Schwerkraft drückt uns nach unten und wir können uns ihr bestenfalls entgegen stemmen. Richtig? Nicht ganz. Wir können uns auch mit unseren Händen halten und Hängen. Mir kommen direkt Bilder von kleinen Affen die sich elegant durch die Baumwipfel schwingen und lustig herumschaukeln.
Das Hängen ist eine natürliche Belastungsformen, die unsere Körper noch aus der Vergangenheit kennen. Die Fähigkeit das eigene Körpergewicht an den Händen zu halten war für unsere evolutionären Vorfahren notwendig und hilfreich. Zwar leben wir schon lange nicht mehr auf Bäumen, aber unsere Körper tragen noch immer einen Teil dieser Bewegungsmuster mit sich. Und über (dosierte) Belastung auf diese natürliche Weise freuen sich unsere Körper.
Aus funktioneller Sicht kann regelmäßiges Hängen dazu beitragen Verspannungen in Schultern und Rücken entgegen zu wirken. Nicht nur, dass die Schwerkraft einen entlastenden Effekt auf die Wirbelsäule hat (die bekommt sonst ja immer nur Druck), auch die Strukturen der Schulter und um die Schulterblätter profitieren von der resultierenden Kräftigung. Wenn du dich im Hängen schon einigermaßen wohl fühlst, kannst du im passiven Hängen sogar eine Streckung einiger Muskeln und Sehen erreichen, die im Alltag sonst viel zu kurz kommt.
Das kannst du ausprobieren:
- Wann immer du die Gelegenheit hast, dich an etwas hängen: Äste, Stangen, Türrahmen…
- Bouldern, Klettern oder Bäumeklettern ausprobieren
- Spielplätze in deiner Umgebung ausfindig machen
- Eine Möglichkeit zum Hängen daheim schaffen
- Training mit Gymnastischen Ringen
Check-in bei dir selbst – Den Körper wahrnehmen
Der menschliche Körper ist ein Wunderwerk! Stell dir mal vor: So viele unterschiedliche Strukturen und Zellen, jede einzelne lebendig und das alles gesteuert von einem biologischen Supercomputer namens Gehirn. Die tatsächliche Wahrheit ist sogar noch beeindruckender: Das Nervensystem hat viele dezentrale Anteile, darüber wo genau Bewusstsein entsteht, sind sich Wissenschaftler noch unklar. Aber eines ist klar: Ohne Körper wäre auch dein Bewusstsein nicht vorhanden.
Und zum Bewusstsein gehört die Wahrnehmung mit unseren Sinnen. Was sie melden ist uns oft unbewusst. Oft nehmen wir den Körper nur dann wahr, wenn etwas nicht stimmt, oder wenn wir eine Belastung erfahren. Dabei vergessen wir, dass der Körper immer da ist. Alle Empfindungen, die der Körper uns meldet, können wir uns bewusst machen und genießen. Das können wir mit unseren „klassischen Sinnen“, Hören, Fühlen usw., aber da ist noch mehr: Sinne für Temperatur, Gleichgewicht, Lage, Bewegung und sogar Tiefensinne und Organsinne – du kannst sprichwörtlich in dich hineinfühlen!
Körperwahrnehmung ist auch eine wunderbare Möglichkeit zur Regulation und Meditation. Die Aufmerksamkeit auf die oft unbewussten Empfindungen zu lenken ist eine gute Übung für Achtsamkeit und Fokus. Wenn wir den Fokus dabei entspannt halten, können wir auch zur Ruhe finden. Und in der Ruhe werden uns vielleicht diese sonst unbewussten Dinge deutlicher und wir können dankbar dafür sein.
Das kannst du ausprobieren:
- Im Stehen oder Sitzen die Augen schließen und wahrnehmen, was dein Körper dir meldet
- Deine Bewegungspraxis/Training mit einem Körper-Check-In starten
- Dich selbst mit Hand oder Gegenständen massieren
- Atemarbeit, Qi Gong oder Meditationspraxis
Perspektivwechsel – Vestibuläres System ansprechen
Für unser Nervensystem ist es von Vorteil mal aktiviert und gefordert zu werden. Insbesondere das vestibuläre System braucht Stimulation (z.B. auch in Entwicklungs- und Wachstumsphasen) um sich zu kalibrieren. Das passiert durch den Wechsel von Ebenen und Lage des Körpers, insbesondere des Kopfes. Wenn du dich also zur Seite oder kopfüber neigst, auf einer Schaukel sitzt oder Achterbahn fährst, dann sorgst du dafür, dass es in deinem Organismus zu einer Flut von Informationen kommt, die sprichwörtlich dein Gehirn stimulieren.
Natürlich wird man dadurch wacher. Ergibt ja auch Sinn, wenn der Körper potentiell in gefährlichen Situationen sein könnte (Wir fallen!), dann schaltet der Organismus auf aller höchste Wachsamkeit! Je nach deinem subjektiven Empfinden solltest du es nicht zu weit treiben. Suche eine Stimulation, die sich für dich angenehm anfühlt.
Eine gute Möglichkeit ist das Kopfüber sein. Einfach mal den Kopf hängen lassen, nach vorne oder hinten. Die Welt aus einer anderen Perspektive betrachten. Und beobachten wie der Organismus darauf reagiert. Solange die Erfahrung für dich positiv (vielleicht spannend, interessant, aufregend) ist, machst du nichts verkehrt. Wenn es für dich aber unangenehm wird, dann greif kontrollierend ein, bevor sich das Erlebnis einprägt. Du kannst auch üben leicht unangenehme Erfahrungen selbstwirksam aufzufangen, zum Beispiel mit Atemübungen und Konzentration. So erweiterst du möglicherweise noch deine Komfortzone.
Das kannst du ausprobieren:
- Räder, Kopfstand, Handstand, Rollen üben
- Beim Tanzen den Kopf flüssig mit bewegen
- Dich beim Strecken auch mal vorne kopfüber hängen
- Schaukeln, Karussell, Achterbahn fahren
- Dich kontrolliert deiner Höhenangst stellen
Bereichere deinen Alltag mit Bewegung!
Noch mehr Bewegungsformen um deinen Alltag zu bereichern findest du im ersten Teil des Beitrags.
Ich hoffe für dich war die eine oder andere Erkenntnis oder Inspiration dabei! Bewegung sollte ein sinnvoller und erfüllender Teil deines Lebens und Alltags sein. Oft geht uns dieser Bezug verloren und wir müssen einen bewussten Einsatz zeigen um ihn wieder in unseren Alltag zu integrieren. Das darf spielerisch und spannend passieren!
Dein Norwin