Bewegung, Körperlichkeit, Sport und Gesundheit sind ein vielseitiges Feld, das du aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachten kannst. Jeder Mensch hat andere Gründe, Anforderungen und Voraussetzungen um sich zu bewegen. Was bedeutet Bewegung für dich? Was ist deine Motivation dazu, welchen Stellenwert nimmt sie für dich ein, wie wählst du deine Ziele und welche Wirkung spürst du davon in deinem Leben?
Hier möchte ich dir ein Modell vorstellen, dass deiner Klarheit dient. Es soll dir eine Betrachtung und Reflektion deiner Beweggründe ermöglichen und dir zeigen, welche Aspekte von Bewegung für dich im Mittelpunkt stehen. So eine Reflektion kann dabei helfen, Überblick und Orientierung zu bekommen und unsere Praxis daran auszurichten.
Ein komplexes und vielschichtiges Thema wie Bewegung lässt sich nicht abschließend in ein perfektes Modell zwängen. Vielleicht entwickelst du mit der Zeit auch deine eigene Betrachtungsweise oder arbeitest weitere Aspekte heraus die für dich besonders wichtig sind. Immerhin stehst bei Natürlicher Bewegung du als Individuum im Mittelpunkt.
Der Körperliche Aspekt
Für die meisten Menschen das erste, das ihnen in den Sinn kommt, wenn wir von Bewegung, Sport, Training und Gesundheit sprechen. Der körperliche Aspekt betrachtet unseren physischen Körper, unsere biologischen Begebenheiten, Physiologie und stellt die Funktionsweise von Skelettsystem, Muskulatur und Organen in den Vordergrund.
Du kannst ihn weiter unterteilen in Gesundheit, körperliche Leistung, Körperbild, Körperverbundenheit, Erscheinung… Besonders die Gesundheit spielt für viele Menschen eine Rolle. Sie möchten durch Bewegung zu Wohlbefinden kommen, Schmerzen bekämpfen oder Krankheiten vorbeugen. Ein wunderbares Mittel! Für andere steht die Leistung im Vordergrund. Was ihr Körper leistet, welche Bewegungen sie damit durchführen können, welche messbaren Ergebnisse sie erzielen. Zwischen vielen Faktoren gibt es eine Korrelation, denn ein gesunder Körper ermöglicht dir auch sehr viel.
Im weiteren Sinne geht es aber auch um die Beziehung zwischen dir und deinem Körper. Wie sehr identifizierst du dich mit ihm, wie geht ihr miteinander um? Welche Art von Kommunikation, welchen inneren Dialog pflegst du mit deinem Körper und wie sieht in deinem Alltag das Geben und Nehmen zwischen euch aus?
Der Räumliche Aspekt
Dieser Aspekt beschreibt den Umgang mit dem Raum der uns umgibt, also unserer Umwelt, und all Ihren Begebenheiten. Inhalte dieses Aspektes sind beispielsweise die Fortbewegung, Interaktion mit dem Raum, physikalische Begebenheiten und das Erleben des Raumes und der Natur mit unseren Sinneseindrücken.
Wir erleben den Raum und die Begebenheiten um uns mit unseren Sinnen, die alle im Körper verortet sind. Wenn wir uns bewegen spüren wir die Muskeln gegen die Schwerkraft arbeiten, unsere Sinne melden Bewegung und Kontakt, Augen, Ohren und Gehirn sagen uns wo wir sind und mit Händen und Füßen spüren wir Untergründe, Materialien, Formen…
Außerdem interagieren wir mit dem Raum, bewegen uns in ihm, verformen ihn und hinterlassen unsere Spuren. Genauso formt uns aber auch der Raum. Unsere Körper sind zum großen Teil das Resultat von Millionen Jahren Evolution, die sich nach den Anforderungen der Umwelt gerichtet hat. Und dein Körper formt sich immer noch danach, wie deine aktuelle Umwelt aussieht. Interaktion ist also immer ein Geben und Nehmen in beide Richtungen.
Hier spielt auch die Interpretation und der Umgang mit der Umwelt eine Rolle. Was wir in ihr sehen, Verbundenheit oder Hindernis, Notwendigkeit oder Möglichkeit, wirkt sich auf unser Inneres und unser Handeln aus und ist oft auch Ausdruck deines Innenlebens.
Der Mentale Aspekt
Dieser Aspekt behandelt bewusste und unterbewusste Vorgänge in unserem Verstand. Unmittelbare Vorgänge wie die Kognition, das Verarbeiten von Informationen, die Koordination, das aufeinander abstimmen von Bewegungen und Denkvorgängen, aber auch grundlegend wirksame mentale Zustände, wie die Einstellung, eigene Werte und Bedürfnisse.
Im mentalen Aspekt begegnest du unter anderem der Koordination, der Kognition, mentalen Fertigkeiten und Kapazitäten, wie zum Beispiel deinem Lernverhalten, Verhaltensmustern und der mentalen Resilienz, aber auch deiner inneren Einstellung und Perspektive.
Der Körper hat einen großen Anteil an allem was mental in uns vorgeht. Er hat ein eigenes Gedächtnis und oft reagiert unser Körper bevor unser Verstand etwas begreifen kann und ist beteiligt an kognitiven und mentalen Vorgängen. Über das zentrale Nervensystem besteht eine direkte Verbindung und Wechselwirkung zwischen unseren mentalen Vorgängen, körperlichen Stimulationen und Handlungen. Es lässt sich daher in Bewegung nicht vermeiden, dass der Kopf mitarbeitet. Vielmehr sollten wir uns dieser Wechselwirkung bewusst sein und sie in unsere Praxis einfließen lassen.
Mentale Gesundheit ist ein Faktor, der für mich eine große Rolle in der Bewegungspraxis spielt. Menschen, die sich regelmäßig bewegen und körperlich gesund bleiben, haben alleine dadurch schon eine meist eine stabilere mentale Gesundheit und Resilienz. Sie sind weniger anfällig für negative Reize, haben einen stabileren Hormonhaushalt und können besser mit wechselnden Reizen und Schwankungen in äußeren Umständen umgeben. Außerdem fühlen sie sich meist auch wohler und haben eine höhere Lebensqualität.
Der Emotionale Aspekt
Hier geht es um die Wechselwirkung zwischen Bewegung und unseren Emotionen. Das Wort Emotion bedeutet ja auch Erregung, Gefühls“bewegung“. Auch hier hat unser Körper, unsere Empfindungen und Reaktionen auf Stimulationen einen großen Anteil an Wahrnehmung, Verarbeitung, Ausdruck und Regulation von inneren Vorgängen. In Bewegung lassen sich Gefühle wahrnehmen, ausdrücken und kanalisieren. Zu einer ganzheitlichen Bewegungspraxis gehört daher auch die Auseinandersetzung mit den eigenen Gefühlen.
Ausprägungen von diesem Aspekt sind beispielsweise der emotionale Ausdruck, die Regulation, deine Empfindungen und Verbindungen zu Emotionen, sowie die Verkörperung und Ausdruck der Emotionen.
Außerdem besteht eine enge Beziehung zwischen Emotionen und somatischen Zuständen wie Stress, Anspannung, Aktivierung etc. Wenn wir Emotionen nicht nachgeben, suchen sie sich meist andere Wege und setzen sich im Körper fest. Wir werden beispielsweise zittrig wenn wir nervös sind, angespannt, wenn wir wütend sind. Oder schlaff vor Langeweile. Durch Bewegung können wir diesen Gefühlen Ausdruck verleihen, die wir im Alltag eventuell nur unzureichend nachgeben können.
Die Wechselwirkung zwischen dem Körper und den Gefühlen ist keine Einbahnstraße. Wir können gegen ungewünschte Emotionen agieren und uns durch unsere Handlungen Stimmungstechnisch beeinflussen. Wenn wir dabei positiv auf unser Innenleben wirken, nennen wir das Regulation und wenn wir diese praktizieren erleben wir Selbstwirksamkeit. Oder wir können lernen unsere Emotionen zu akzeptieren, indem wir ihnen durch Bewegung Raum und Inhalt geben, zum Beispiel indem wir tanzen.
Der Soziale Aspekt
Bewegen kann man sich nicht nur alleine, sondern auch gemeinsam. Interaktion mit anderen ermöglicht einen komplett neues Gestaltungsspielraum, kann uns inspirieren und antreiben. Einflüsse von anderen betrachten, bewerten und integrieren wir in unser eigenes Tun.
Je nach Situation, Intention und Einstellung findest du soziale Einflüsse in jeder Form der Interaktion, egal ob Unterstützung, Austausch, oder Wettkampf, aber auch in indirekten Wechselwirkung, wie sozialer Orientierung, Hierarchie, Inspiration und dem entstehen von Gruppen und Gesellschaften.
Besonders im Bewegungskontext beobachten wir, dass wir uns entweder unterstützen, ergänzen, anspornen, gegenseitig herausfordern oder konkurrieren können. Vielleicht kennst u das ja bereits aus einem Mannschaftssport oder Teambuilding-Maßnahmen.
In der Interaktion erfüllen wir immer unterschiedliche Rollen und unsere bevorzugte Reaktion auf diese Rolle ist individuell und persönlich. Vielleicht bist du ein Team-Player, der mit anderen zusammen zu Höchstleistungen aufläuft. Jemand der durch das Vergleichen mit anderen im Wettkampf aufblüht. Bist du jemand der anderen gerne unter die Arme greift? Oder dir tut einfach das zocken zum Feierabend mit guten Freunden unglaublich gut, auch wenn dabei keine Punkte gezählt werden?
Bewegungsformen die Miteinander und Gegeneinander beinhalten sind auch immer ein Abbild unseres Gesellschaftlichen Umgangs. Rollen die wir im Sport besonders gut können, erfüllen wir womöglich auch im Leben gut. Und umgekehrt. Dadurch kann das Erlernen von neuen Arten des Umgangs auch zu einer neuen Perspektive außerhalb des Sports führen.
Regeln und Methoden helfen uns dabei einen geschützten Raum für die Erforschung dieser Interaktion zu schaffen. Wir können ungefähr erahnen was von uns erwartet wird, was okay ist und das erleichtert unser Handeln. Wenn ich beispielsweise mit dir Boxe, dann wäre ich ja enttäuscht, wenn du nicht auch mal fest zuhauen würdest. Ein Privileg, an das wir im Alltag sonst nicht herankommen.
Was mache ich jetzt damit?
Ich möchte noch einmal betonen, dass diese Aspekte nur einer bewussten Betrachtung dienen und keine präzise Abgrenzung darstellen. Tatsächlich lassen sich einige Perspektiven und Inhalte mehreren oder allen Aspekten zuordnen.
Für mich dient diese Einteilung daher nur einer Orientierung und Momentaufnahme meiner Praxis. Im Kontext der Aspekte kann ich meine Stärken und Schwächen, meine Bedürfnisse und Vorlieben formulieren und reflektieren. Letztendlich ist Bewusstsein der wichtigste Faktor für eine nachhaltige und Entwicklungsfördernde Praxis. Jeder Mensch ist unterschiedlich, daher kann es nie eine perfekte und richtige Vorgehensweise für uns alle geben.
Ich hoffe aber, dass dir eine Betrachtung, wie die Aspekte als ein Wegweiser dienen kann. Stell dir hier ruhig die Frage: Welche Aspekte haben mit mir besonders resoniert? Welche praktiziere ich bewusst, intensiv und umfangreich? Und welche Aspekte kommen vielleicht zu kurz oder erzeugen Widerstand?
Nach meinem Verständnis liegt in allen Aspekten ein gewisser Wert. Manchmal sogar (oder erst recht) in denjenigen, die in uns Widerstand erzeugen- Welche Aspekte du verfolgst, ob du alle abdecken willst, einzelne vertiefen möchtest und andere beiseite lässt, obliegt letztendlich dir selbst.
Bleib in Bewegung!
Dein Norwin